Dr. Jens Kleinefeld: „Nicht aktiv werden, kostet Leben!“

In Deutschland sterben pro Jahr rund 65.000 Menschen an einem plötzlichen Herztod. Intensiv- und Notfallmediziner Dr. Jens Kleinefeld erklärt im Interview, worauf es beim plötzlichen Herzstillstand ankommt und wie auch Laien die so wichtige Überlebenskette einhalten können.
Verband
Badischer Tennisverband
Dr. Jens Kleinefeld mit Klemmbrett in der Hand

Herr Dr. Kleinefeld, die Björn Steiger Stiftung hat das Projekt ‚Herzsicherer Verein‘ ins Leben gerufen und will so über die Clubs für das Thema ‚Plötzlicher Herztod‘ sensibilisieren. Wie wichtig sind solche Projekte und Initiativen aus Ihrer Sicht, um Leben zu retten?
Die Investition in Wiederbelebungsschulungen kann nicht nur das Leben eines jungen Menschen retten, sondern auch das Vertrauen und die Sicherheit des eigenen Teams stärken. Ich kann nur jedem im Sportbereich ans Herz legen, sich mit diesen lebenswichtigen Techniken vertraut zu machen. Die Basismaßnahmen sind leicht verständlich und schnell erlernt. Es könnte den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen.

Was genau ist der plötzliche Herztod eigentlich? Und wie unterscheidet er sich zum Herzinfarkt?
Die Begrifflichkeit „Herztod“ ist eng genommen falsch gewählt, weil sie eine nicht erfolgreiche Reanimation beinhaltet, also den Tod. Besser beschrieben wird die Situation durch den Begriff „plötzlicher Kreislaufstillstand“. Bei jungen Menschen wird der Kreislaufstillstand in der Regel durch ein Herzrhythmusereignis (Kammerflimmern) ausgelöst, welches die Pumpfunktion des Herzens unterbricht. Das Herz ist noch aktiv, aber die Muskelaktivität verläuft nicht mehr koordiniert ab, sodass der Blutfluss und damit die Sauerstoffversorgung wichtiger Organe, wie dem Gehirn, unterbrochen wird. Dieses Rhythmusereignis tritt plötzlich und ohne begleitende Symptome auf. Der Herzinfarkt geht zumeist mit erkennbaren Vorboten einher, zum Beispiel Schmerzen im Brustbereich und tritt gehäuft ab dem 40. Lebensjahr auf. Kammerflimmern sehen wir hingegen schon bei jüngeren Menschen, also ab dem 16. Lebensjahr.

Ihr Name ist vor allem im Jahr 2021 bekannt geworden, als Sie während der Fußball-Europameisterschaft dem dänischen Nationalspieler Christian Eriksen noch auf dem Spielfeld das Leben retteten. Wie kann es sein, dass selbst so durchtrainierte Menschen wie Profi-Fußballer einen plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand erleiden?
Die Auslöser für ein plötzliches Rhythmusereignis können mannigfaltig sein und sind unabhängig vom Trainingsgrad. Ursächlich können unter anderem genetische Variationen, strukturelle Herzveränderungen und eine aktive oder abgeheilte Herzmuskelentzündung vorliegen.  
Das bedeutet, dass bei Athlet:innen, die jahrelang Sport auf hohem Niveau ausüben und – zumindest im professionellem Fußball- eine jährliche medizinische Untersuchung erhalten, diese Ursache zu dem Zeitpunkt der Untersuchung nicht immer zu erkennen ist.
Strukturelle Herzveränderungen, wie zum Beispiel eine zunehmende dilatative Kardiomyopathie (krankhafte Erweiterung des Herzmuskels, Anm. d. Red.) oder eine koronare Herzerkrankung, können hingegen rechtzeitig bei diesen Untersuchungen erkannt werden.

Wenige Jahre zuvor hatte der italienische Fußballer Davide Astori vom AC Florenz weniger Glück und verstarb mit gerade einmal 31 Jahren an einem plötzlichen Herztod. Der Fitnesszustand und das Alter schützen hiervor offensichtlich nur bedingt. Welche Risikofaktoren spielen stattdessen eine Rolle?
Wenn jemand eine Ausdauersportart ausübt, bei welcher das Herz eine maximale Leistung erbringen muss, und zeitgleich hohe Dosen des Stresshormons Adrenalin ausgeschüttet werden, kann diese Belastung ein Rhythmusereignis auslösen. Bei der Erhebung der Risikofaktoren sollten folgende Fragen gestellt werden:

  • Gab es in der Familie des:der Athlet:in bereits plötzliche Todesfälle in jungen Jahren?
  • Hatte der:die Athlet:in kürzlich einen fieberhaften Infekt?
  • Hatte der:die Athlet:in in der Anamnese eine Herzmuskelentzündung?
  • Ist der:die Athlet:in jemals kardiologisch untersucht worden, zum Ausschluss struktureller Herzveränderungen?

Was kann ich im Gegenzug tun, um einen plötzlichen Herztod zu vermeiden? Gibt es Vorsorgeuntersuchungen, die ich präventiv durchführen lassen kann?
Jede:r Ausdauersportler:in sollte regelmäßig eine kardiologische Vorsorgeuntersuchung machen. Der Großteil der aktiven Sportler:innen ist nicht im Profibereich tätig. Viele Menschen betreiben eine Ausdauersportart wie Tennis, Radfahren, Joggen, Fußball etc., ohne dass jemals abgeklärt wurde, ob ihr Herz auch dazu geeignet ist. Weiterhin sollte man auf keinen Fall bei einem Infekt sein Herz belasten. Die Infekt auslösenden Erreger können auch das Herz erreichen und dort eine Entzündung (Myokarditis) verursachen, die klinisch von den Patient:innen oftmals nicht wahrgenommen wird. Man sollte auch darauf achten, dass ein Infekt vollständig abgeheilt ist, bevor man wieder Sport betreibt.

Wenn es dann doch zu einem plötzlichen Herzstillstand kommt, sind viele Ersthelfende erst einmal mit der Situation überfordert. Was kann ich als Laie tun, wenn jemand in meiner Nähe einen plötzlichen Herztod erleidet? Worauf kommt es an und was kann man eventuell falsch machen?
Das ist simpel. Man sollte die sogenannte Überlebenskette einhalten. Die Überlebenskette beschreibt die Maßnahmen, die bei einem Patienten mit Kreislaufstillstand durchgeführt werden sollen:

  • Erkennen:  ist die Person noch ansprechbar und atmet sie normal?
  • Melden: sofort den Rettungsdienst rufen, um professionelle Hilfe zu erhalten
  • Wiederbeleben: Herzdruckmassage, Defibrillation falls möglich, Beatmung

Das Falscheste, was man als Laie machen kann, ist, nichts zu tun. Sollte man sich unsicher sein, sollten Wiederbelebungsmaßnahmen erfolgen, statt diese zu unterlassen. Man sollte die Basismaßnahmen einer Reanimation erlernt haben und diese Schulung regelmäßig wiederholen. Eine einmalige Schulung bei der Führerscheinprüfung ist nicht ausreichend. Die korrekte Durchführung der Herzdruckmassage ist entscheidend.
Die schnelle und korrekte Durchführung der BLS-Maßnahmen (Basic Life Support, Anm. d. Red.) machen den Unterschied zwischen Leben und Tod. Wenn ich als Notarzt nach 5 Minuten eintreffe und es wurden keine Basismaßnahmen durchgeführt, sind die Überlebenschancen deutlich schlechter. Das Gehirn erleidet bereits nach wenigen Minuten ohne Durchblutung irreversible Schäden. Es zählt also jede Sekunde.

Auch auf dem Tennisplatz gab es bereits unschöne Vorfälle in Sachen plötzlicher Herztod. Wie können sich Sportvereine für den Fall der Fälle wappnen? Welches medizinische Equipment darf in keinem Vereinsheim fehlen?
Ein gut ausgebildetes Team, das weiß, wie man in solchen Situationen reagiert, ist unbezahlbar. Alle Betreuungspersonen von Sportler:innen sollten regelmäßig im BLS geschult werden.
Da wir häufig bei jungen Athlet:innen ein Herzrhythmusereignis (Kammerflimmern) als Ursache des Kreislaufstillstandes haben, sollte ein Defibrillator vor Ort sein. Mit diesem kann man das Flimmern unterbrechen. Die Überlebenschancen sind sehr gut, wenn die korrekten Maßnahmen innerhalb von zwei Minuten eingeleitet werden.

Glücklicherweise sieht man diese Defibrillatoren in der Öffentlichkeit - und eben auch auf den Tennisanlagen - immer häufiger. Wie einfach sind diese für Laien zu bedienen? Gilt auch hier der Grundsatz: ‚lieber irgendwie anwenden als gar nicht‘?
Die Defibrillatoren, die in der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, sind sogenannte AED: automatisierte externe Defibrillatoren. Diese sind extra für die Laienanwendung konzipiert worden. Die Geräte führen den Laien durch die erforderlichen Maßnahmen. Die Geräte analysieren den Herzrhythmus und empfehlen beim Vorliegen von Kammerflimmern eine Schockabgabe durch Drücken einer blinkenden Taste oder - je nach Gerät - führen diesen Schock selbständig durch. Die AED erlauben nur eine Schockabgabe, wenn die entsprechende Rhythmusstörung vom Gerät erkannt wurde. Die Entscheidung wird dem Laien also abgenommen. Man kann dadurch auch nicht eine Defibrillation durchführen, wenn diese nicht erforderlich war. Auch hier gilt: bitte anwenden! Nicht aktiv werden, kostet Leben.

Sie selbst sind Facharzt für Anästhesie-, Intensiv- sowie Notfallmedizin und werden mit dem Thema von Berufswegen immer wieder konfrontiert. Können Sie da im Alltag überhaupt abschalten, ohne ständig „unter Strom zu stehen“ und die Umgebung nach möglichen Notfällen abzuscannen?
Mich machen Notfallsituationen nicht nervös oder führen zu Dauerstress. Als langjähriger Arzt bei nationalen und internationalen Sportveranstaltungen habe ich viele Verletzungen und manche Notfallsituation auf dem Spielfeld erlebt und kann vieles schneller Erfassen und durch Erfahrung ruhig abarbeiten. Ich beobachte während eines Fußballspiels auch die nicht ballführenden Athleten:innen. Das ist aber eine berufsbedingte Eigenart, die mich nicht „unter Strom“ setzt.

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